Noch ein Leben
Meine kleine Schwester sagte vor einigen Monaten „ich habe nur dieses eine Leben, ich lebe es und mache das Beste daraus“, setzte sich hin und ihre Augen glänzten. Gerne hätte ich ihr geglaubt, dass dort nichts an Schmerz und Leid ist, sie wirklich glücklich ist und ihre Vergangenheit ruhen lässt. Ich weiß wie tief es in ihr sitzt, doch ihren Weg geht sie für sich.
Für außenstehende ist es nicht nachvollziehbar, warum Menschen wie ich manchmal nur die Schnauze voll haben, wir haben nie eine reelle Chance gehabt. Wenn normale das ertragen müssten was wir Tag für Tag ertragen , wissen das Erinnerungen kommen, wissen das wir kaum etwas dagegen machen können, zu viel fühlen, zu viel ertragen, zu viel empfinden, zu viel trauern , immer wieder hinfallen und aufstehen müssen.
Wie oft fliege ich in den Himmel, wie oft schaue ich den Vögeln und Schmetterlingen hinterher, wie oft hoffe ich für mich auf ein kleines Stück Himmel. Wie schnell verliere ich den Mut , wie oft denke ich das war es jetzt , du möchtest nicht noch mal enttäuscht werden, wie verletzlich bin ich innerlich.
Stellt es euch vor wie bei einem Kind , das tapsend die ersten Schritte lernt, vertrauensvoll an der Hand des Erwachsenen ist, dieser lässt die Hand los und das Kind fällt hin , verletzt sich. Wie oft wird dieses Kind noch die Hand nehmen. Irgendwann bleibt es sitzen.
Sollte es auf die Idee kommen ganz mutig noch mal eine Hand zu nehmen, wird es argwöhnig aufpassen und geschieht dann ein Mißgeschick und das Kind fällt wieder hin wird es jedesmal schwerer. Die Vielzahl dieses Hinfallens macht es schier unmöglich endgültig zu vertrauen.
Ich spüre in mir dass ich in vielen Situationen wo mir Mimose weh getan wird einfach zuzumachen doch meistens ist es zu spät es kommt an mich heran, es verletzt und gräbt sich erneut fest. Mit aller Macht versuche ich diesen Keim herauszuholen, doch tief in mir steckt der Stachel und die Wunde platzt wieder auf. Oft ganz ängstlich beobachte ich meine Außenwelt immer auf dem Sprung, hinterfrage immer mehr und versuche mich so gut es geht zu schützen. Das dies kein wirklicher Schutz ist , ist mir mehr als bewußt.
Doch eines Tages glaubt man dann nur noch es reicht, es fehlt dann nur noch eine Kleinigkeit und alles überrollt einem, die Einsamkeit, das Wissen dass es ein endlos langer Weg in den Sonnenschein ist, man nur noch einen vertrauten Menschen um sich haben möchte der einen ohne Worte versteht, man sich gehalten und behütet fühlt. Im gleichen Moment fühlt man sich wertlos weil man vermeindlich alleine ist, mich will ja doch keiner haben, mich wollte noch nie einer haben, warum bin ich überhaupt hier. Die Spirale dreht sich und die düsteren Gedanken aus den Kindertagen sind da, man kommt dagegen nicht mehr an. Für Freunde muss dies mehr als erschreckend sein, das ist doch nicht mehr der Mensch mit dem man gestern noch gesprochen hat, nein ist es auch nicht, es ist der verängstigte einsame Mensch aus der Kindheit.
Meine Thera sagte mir vor einigen Wochen, das ist so, da müssen wir durch, sowas kann vorkommen. Wir müssen halt schauen was wir dann machen können. Ebenso ist es so , dass all die Tränen fliessen müssen, es ist so , dass man erleben , riechen, fühlen muss bis es neutral ist und keine Emotionen mehr weckt.
Stellt euch vor ihr steht auf einem Berg, wisst nicht unter euch ist etwas was euch rettet, ihr werdet herunter geschupst und habt Angst vor der Todesangst. Ihr werdet gerettet. Man bringt euch dazu wieder auf dem Berg zu gehen , wieder vor dem Abgrund, vielleicht ist jetzt wieder etwas was euch rettet, doch wißt ihr es genau ?. Ihr werdet das nächste Mal herunter geschubst.
Natürlich könnt ihr jetzt sagen, klar werden wir geretten, wenn wir das 4 – 5 mal hatten wird das auch das nächste Mal so sein, jedoch sind kurze Sequenzen wo ihr euch verletzt, die Wunden bluten , verheilen ein wenig. Diese Ungewissheit, ist dort unten Boden oder falle ich unendlich, das ist ungefähr das Empfinden.
Ich akzeptiere keineswegs den Freitod, doch ich versteh ihn. Heute denke ich noch oft an die Worte meiner Thera, „Sie sind stark, andere hätten es mit Ihrer Geschichte nicht bis zu mir geschafft“. Doch selbst ich stürze teilweise ab, klar ich habe einen besonders sensiblen Freundeskreis, doch in solchen Momenten tickt man anders, man ist kaum bereit mit irgendjemand zu telefonieren.
Ich las vor ein paar Tagen im Forum, nein ich gehe nicht zur Therapie, denke werde ganz schnell eingeliefert, wenn ich von meinen Gedanken erzähle. Zu dem verarbeiten kommt dann noch die Angst hinzu als nicht normal eingestuft zu werden, die Sorge nicht mehr zu funktionieren.
Selbst ich der in dieser Hinsicht viel offener geworden ist, behält in gewissen Situationen meine Krankheit für sich. Sie ist nicht von mir provoziert worden, sondern von den Menschen die mich beschützen sollten und von einer Gesellschaft die weg geschaut hat. Von Ämtern die froh war wenn Kinder irgendwo untergebracht waren ohne weiter zu hinterfragen. Heute hat sich Gott sei Dank einiges geändert, man wird sensibler, doch früher war es halt nicht so.
Es gibt vier konkrete Situationen an denen ich am liebsten alles geschmissen hätte, mit 13 , mit 19 , am 2. Weihnachtstag und vor einigen Wochen. Keiner hat mehr Angst wie ich vor diesen Gedanken, davor nur noch Ausweglosigkeit zu sehen, keiner wünscht sich mehr wie ich, einfach nur glücklich zu sein.
Mir fehlt teilweise der Mut zu reden, frühzeitig abzustoppen, wie soll ich die Grausamkeit erklären , wenn sie für mich selber unerklärbar ist, sicher ich hoffe immer ich könnte reden reden reden ohne aufzuhören , alles heraus, doch das gelingt mir noch nicht.