Sie kämpfte zu dieser Zeit noch zwischen den Welten ihrer schönen Welt. Oft begleitete sie Ma in die Gärtnerei. Lief stundenlang durch die Gewächshäuser kroch unter die langen Tische und spielte mit der weichen Erde. Sie liebte es die Blumen anzuschauen, liebte die Wärme der Treibhäuser. Oft half sie beim Umtopfen, auch Jahre danach lebte und liebte sie mit den Pflanzen. Es faszinierte sie , wie aus einem Keim eine grosse Pflanze wurde. Oft zog sie einen der Stecklinge aus der Erde und schaute sich die Wurzeln an und empfand es als sträflich wenn diese beim topfen verkleinert wurden.
Irgendwann durfte Sie nicht mehr in die Treibhäuser, sie hatte aus Versehen eine Portion Töpfe umgeschmissen. Zuerst wusste sie nicht was sie mit dieser Küche anfangen sollte in der sie verfrachtet wurde. Der Wind heulte durch das Geschäftsgebäude dass an die Küche angrenzte und sie fühlte sich einsam. Oft hatte sie das Gefühl die Zeit verrinnt einfach nicht, bis sie in einem Schrank Märchenbücher fand , Grimms Märchen , Orientalische und einige andere. Sie sehnte ab da jeden Tag herbei , dass die Schule aus war , sicherlich hatte sie das Mathyrium des Mittagessens vor sich aber danach war die nötige Ruhe lesen zu können. Sie beeilte sich mit den Hausaufgaben und versank danach für den Rest des Tages in die Märchenwelt. Daheim bevor sie schlief träumte sie die Geschichten weiter , war die Prinzessin und war zum Schluss immer glücklich und gerettet. Es wurde zeitweise noch nicht mal durch die Realität durchbrochen , sie lernte einfach weiter zu träumen , egal wer oder was kam. Sie hörte das Poltern nicht mehr so doll, hörte kaum noch das Brüllen , hörte weniger Gläser klirren und Schreie. Manchmal spürte sie noch nicht mal mehr wenn er in ihr Zimmer kam , roch fast gar nicht mehr den Alkohol.
Und dennoch hatte sie in manchen Momenten das Gefühl diese Stille bringt sie um.
Essen war ab einem bestimmten Alter ein ganz grosses Problem. Es war wahrscheinlich ihre Art sich zu wehren. Sie wurde mit Rotkäppchen gefüttert, ein widerliches süsses Zeug , wobei ihr ständig übel wurde oder rohe Eier mit Rotwein von der ihr den ganzen Tag schlecht war, alleine der Gedanke daran liess sie den Magen umdrehen.
Es wurde nicht besser , eher schlimmer, oft musste sie aufstehen , weil sie nicht gerade saß , nicht beide Hände ordentlich auf dem Tisch nebeneinanderliegend , die Gabel falsch hielt , das Messer nicht in der richtigen Hand und im Stehen weiter essen. Oft verbrachte sie auf der Toilette ihre Essenszeit weil sie keine Manieren hatte und nicht an den Tisch gehörte.
Dort wurde dann kontrolliert ob kein Essen verschwunden war. Oft gab es fettes Essen und sie vertrug es nicht alleine das ansehen verursachte würgen in ihr und dennoch musste sie es essen.
Oft versuchte sie es einfach nur herunterzuschlucken und verschluckte sich dabei genau so häufig.
Aber sie wehrte sich auch , was dann oft mit Ohrfeigen quittiert wurden und stundenlangem sitzen bleiben am Tisch das essen war dann natürlich kalt und es wurde noch schwieriger.
Und dennoch war dies nur der Auftakt. Sie hatten einen alten Bauernhof mit mehreren Stallungen . Einer von diesen Stallungen nannten sie Kartoffelkeller. Dort wurden die Kartoffeln nach der Ernte gelagert damit sie nicht keimten. Es war düster und modrig . Ziemlich hoch an der Decke war ein kleines Licht das durch ein Belüftungsrohr schimmerte und wenn man lange genau hinschaute konnte man erahnen ob es draussen hell oder dunkel war.
Als sie begann sich zu weigern etwas zu essen und selbst auf Ohrfeigen nicht mehr reagierte wurde sie an den Haaren in diesen Raum gezogen. Anfangs war sie noch recht mutig und war nur froh nicht dieses Essen essen zu müssen , aber mit jedem Atemzug der verging wurde es schlimmer. Sie hörte danach nur noch ihr eigenes Herzrasen, das Tösen in den Ohren und die Hoffnung alles wäre irgendwann vorbei. Sie hatte selten ein Zeitgefühl und weiß auch heute nicht wie lange sie in diesem Raum bleiben musste , aber auch heute noch gerät sie regelrecht in Panik wenn sie die Orientierung verliert. Heute noch riecht sie manchmal diesen modrigen Geruch und heute noch geht sie nicht in diesen Raum herein, hat ihn mit einer großen Kühltruhe verbarrikadiert.
Irgendwann nahm sie ihre Märchen zur Hilfe , schloss die Augen und träumte sich weg , weit weg, hoffte auf ihren Retter , hoffte auf Erlösung. Manchmal nahm sie sich einen Stein der in diesem Raum lag und haute sich auf die Hand oder das Bein damit sie den Schmerz spüren konnte und überlegte sich ob es so in einem Sarg ist. Sie legte sich dann auf dem Boden und übte sterben doch man war ihr nicht so gnädig gesonnen.
Auf der anderen Seite aß sie bei Familienfesten ausserhalb ihres Zuhause mit einem nicht verständlichen Appetit die Tafel rauf und runter, probierte an allem möglichen und empfand es einfach als köstlich. Überhaupt aß sie ausserhalb recht gut.
In der Zeit in der sie dann mit dem Sport anfing , forderte ihr Körper ihr Tribut und sie war genötigt zu essen um weiter laufen zu können. Eine Tante die mitbekommen hatte was sie essen musste wirkte dementsprechend ein und sie durfte sich danach auch mit Sachen ernähren die sie mochte.
Ihr Dad wollte „nett“ sein und sie „beschützen“ und sie durfte ihm dann Essen auf dem Teller legen , die sie nicht aß.
In späteren Jahren kehrte dennoch dieses kein Hunger und vergessen zu essen wieder zurück , nicht immer aber in Krisensituationen gehäuft.
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