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Archive for 15. September 2008

essen oder nicht essen

Essen oder nicht essen

Oft sass ich stundenlang am Tisch und stochelte im Essen herum. Es war eine der wenigen Möglichkeiten die Kontrolle über mich zu behalten. Oft war das Essen nur widerwärtig, alleine der Geruch rief schon einen Würgereiz in mir hervor. Viele Strafen habe ich wegen diesem Essen schon ertragen und doch wußte ich das es meine einzige Möglichkeit war, die Menschen draussen auf mich aufmerksam zu machen. Oft kamen Sätze wie, ach wie zierlich ist dieses Kind, wie zart, armes kleines Ding. Ma schaute dann immer sehr entrüstet drein und überschlug sich mit Erklärungsversuchen, dass sie es so schwer hätte und ich keinen Appetit und das Rotkäppchen und alles andere an Aufbaupräparaten nichts halfen. Es war meine Möglichkeit es ihr heimzuzahlen, zuzusehen wie sie sich für die Pein die sie mir immer wieder antat erklären musste, dies war meine geheime Rache an sie, damit ich vor mir selber stehen bleiben konnte. Sehr oft wurde mir eingebleut was ich zu sagen hatte, wenn ich wieder blaue Flecken hatte, wenn ein Arm gebrochen war, wenn ich humpelte und ich wendete es auch gehorsam an. Oft wurde ich ungläubig angeschaut und irgendwann entwickelte sich eine Eigendynamik, ich wurde tatsächlich so verträumt dass ich überall drüber viel, stolperte doch niemals verletzte ich mich dabei so stark wie unter den Einfluss meiner Pflegeeltern.

Sie wußte dass ich bei Rosenkohl würgen musste. Wenn ich von der Schule heimkam und sie ausnahmsweise mal daheim war, ich den Geruch im Flur wahrnahm, wünschte ich mir ich könnte rückwärts wieder heraus. Oft wünschte ich mir, das Essen würde verbrennen oder die Herdplatte wäre zu hoch. Hin und wieder mußte ich den Ofen ausschalten , dieses schreckliche Gemüse noch in Butter schwenken, mehrmals versuchte ich es dann zu verbrennen und nahm selbst Ohrfeigen in Kauf, bis sie dann feststellte dass ich es absichtlich machte.

So sass ich vor diesem Gemüse und jedes einzelne dieser runden Dinger sollte in meinem Mund. Wenn ich mich weigerte , stellte sie sich hinter mir, kniff mir mit beiden Händen in die Wangen bis ich den Mund öffnete und schob das Essen in mir hinein. Meine Versuche es auszuspucken oder mein Wimmern wurden entweder mit Ohrfeigen oder mit den Kopf in den Teller halten quittiert.

Dennoch entwickelten sich auch Zeiten in denen ich verhältnismässig viel aß, besonders zu den Zeiten wo meine Wut und Haß den beiden gegenüber hochschwappte und ich mir schwor das sie mich nicht zerstörten. In den Jahren der Pubertät aß ich besonders viel, sicher ich trieb auch Sport bis zur Erschöpfung doch ich entwickelte auch einen guten Selbsterhaltungstrieb. Meine Kleidung war sie vorher schon komisch für meine Mitschüler sah noch skurriler aus und nur wenige redeten überhaupt noch mit mir. Die paar Kinder die ich an mich heranließ wollten mich bedauern und ich fuhr ihnen über den Mund das ich das so wolle. Immer mehr wurde Nahrung zu einem Machtspiel zwischen mir und ihr, irgendwann war es chronisch. Essen nicht essen, leben oder sterben wollen. Die Spirale drehte und drehte sich.

Als ich wieder begann regelmässig und bewußt zu essen, durchlitt ich Höllenqualen, alles in meinem Körper wehrte sich gegen Nahrung, ich stand mir selber im Weg. Dies in Kombination mit der beginnenden Therapie brachte mich in eine ganz brenzlige Situation. Ich achtete instinktiv immer darauf dass ich nicht zu wenig ass, gerade noch so viel das ich einigermassen existieren konnte.

Es kamen Jahre in denen ich zugunsten der Kinder auf Nahrung verzichtete. Meinem Exmann war es egal ob etwas im Haus war oder nicht, dieses oblag mir. Ich will nicht sagen dass er es ihn nicht interessierte, doch hatte er ebenso eine Möglichkeit gefunden die Realität auszublenden, so wie ich meine Vergangenheit vergraben hatte. Nahrungsaufnahme war einer der wenigen Überbleibsel aus den Kinder- und Jungendtagen. Die Monster waren dennoch Rebellen, meine Große wie auch die Kleine kämpften unbewußt einen Kampf ums Essen. Vielleicht auch weil ich dort immer versuchte erzieherisch einzugreifen, oft gewiss auch unverhältnismässig. Manchmal erkannte ich zu spät, dass es nur meine eigenen Ängste waren. Bei der Kleinen war ich danach in der Lage es zuzulassen das sie teilweise wenig aß auch wenn ich innerlich oft in Panik geriet. Jedoch lassen sich Kinder nicht überlisten, sie haben feine sensible Antennen und wußten das irgend etwas im Argen war. Meine Große war teilweise ein Pummelchen und die Mütterberatung warnte mich dass die Kleine zu kräftig wär und wenn ich sie weiter so überfüttern würde könne ich sie bald rollen. Ich weiß noch wie stolz ich war, sie war nicht zart und zerbrechlich, ihr konnte man nichts tun. Diese Übervorsorge begleitete das Mädel ihr Leben lang. Sicherlich kann man mir das heute ankreiden, ich habe sie zu sehr beschützt.

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Leben mit der Angst

Das Leben mit der Angst kann irgendwann zur Gewohnheit werden. Mein gesamtes bisheriges Leben war davon geprägt und irgendwann sucht man krampfhaft nach Möglichkeiten dies aus dem Weg zu gehen. Man gewöhnt sich an Quälerei und Zerstörung, man gewöhnt sich an Willkür und der Spielball von Menschen zu werden. Später kam ich aus diesem Kreislauf nicht mehr heraus und lebte das Opfer, teilweise auch heute noch, doch ich erkenne es inzwischen.

Meine Nächte sind inzwischen mehr als anstrengend. Mit dem Tag an dem ich auf der inneren Bühne stehen blieb und das erste Mal die Konfrontation suchte war für mich mehr als anstrengend. Selbst in der Nacht pochte das Herz bis zum Hals und die Angst schien mich zu übermannen. Es kostet mir unendlich viel Kraft dem Stand zu halten mich zu stellen, meine Ängste zu besiegen.

Ich gerate teilweise innerlich ausser mir, wenn Worte fallen die sich mit der Vergangenheit verbinden, wenn sich Situationen vermeintlich wiederholen,wenn das Karussell der Erinnerungen wieder losfährt. Immer wieder bekämpfe ich die Dämonen in mir die mich zum Rückzug verleiten wollen, zurückzukehren in eine andere Welt in der die Kühle herrscht und alles klar strukturiert ist , in der ich funktioniere wie eine Marionette. Teilweise ist so eine Sehnsucht in mir einfach nur noch Ruhe zu haben im Kopf, weil er mir ansonsten zu platzen droht und doch führt kein Weg zurück. Die Türen sind teilweise weit geöffnet und die Show , die Filme laufen ohne Pause und Erbarmen.

Wieviel hält ein Mensch aus, wieviel Bilder, Gerüche, Schmerzen, Panik und Leid kann man ertragen, ich weiß inzwischen, verdammt viel. Manchmal sind meine Tage unendlich lang, bin dankbar für jede Ablenkung. In den Jahren als die Kinder noch klein waren, fehlte mir die Zeit, ich konnte mich sehr gut ablenken, heute suche ich, widerstehe der teilweisen Versuchung mich zu betäuben, zu flüchten. Oft fühle ich mich so unendlich einsam auf meinem Weg, ähnlich dem den ich 15 Jahre in meiner Kindheit gegangen bin. Sicher ich versuche diese Teile zusammenzusetzen, puzzle an meinem eigenen Leben, betrachte es und hoffe sie irgendwann fortlegen zu können und verfluche die Teile die mir zugespielt werden. Wie gerne würde ich den Rückwärtsgang einlegen einfach nur vergessen.

Die beiden hatten ein Spiel, es nannte sich wie bewältigen wir unsere eigenen Ängste durch quälen eines Kindes. Oft sage ich mir heute, komm es war nicht so schlimm, es ist so lange her, vergiss es. Als ich mit meiner leiblichen Mutter sprach, sie mir manches aus meiner Vergangenheit genauer erklärte, Erinnerungsfetzen sich zu einem Gefüge zusammensetzen, weinte sie. Ich sagte ein paar Mal höre auf, hör bitte auf zu weinen, das hilft mir nicht. Sie verstand und meinte sie müsse sich diesen Schuh anziehen, als ich ihr sagte, wo warst du, wo warst du in all den Jahren, an denen ich Tag für Tag auf Hilfe wartete. In der Familie war ein Gefüge von Lügen und verdrehen der Tatsachen. Sie wußte das, hat es geahnt. Natürlich versuchte sie mir am Telefon Mut zu machen, dass ich die Therapie fortsetzen sollte, sie mir so gerne die Schmerzen und Erinnerungen abnehmen würde, sie die beiden wenn sie leben würden umbringen würde. Wenn ich ehrlich bin, konnte ich darüber nur müde lächeln, irgendwie mit einer inneren Wehmut dachte ich nur, dafür ist es zu spät, du hattest die Chance als ich klein war. Sicher, ich weiß nicht , ob meine Vergangenheit dann anders gelaufen wäre, weiß nicht ob dann andere Probleme aufgetaucht wären. Sie heiratete einen Mann der meine Schwester begrabschte, zwar nicht so schwerwiegend wie bei mir und sie wußte sich da sie in dieser Familie nicht lebte, zu wehren. In vielem war meine Schwester stärker jedoch wuchs sie auch in einer intakten Familie auf. Mir war es nicht vergönnt, meine Stief-, Pflegegeschwister beneideten mich weil Papi sich soooo rührend um mich kümmerte. Wie ein Feldwebel beobachtete er jede Bewegung von mir und machte mich immer mehr zu seinem Individuum. Man gewöhnt sich an den absoluten Gehorsam, versucht irgendwann dem Menschen zu gefallen wenn man keine andere Möglichkeit hat. Nie habe ich gelernt dass ich eine eigenständige Persönlichkeit bin.

Bring mir Wasser, putz die Küche, hast du die Wäsche aufgehangen, mach die Öfen an. Oft fühlte ich mich wie Aschenputtel und weinte innerlich. Wenn andere spielten stand ich draussen und sägte Holz, putze ich die Wohnung, jätete Unkraut. Teilweise war ich sogar froh wenn ich arbeiten konnte, in dieser Zeit war ich nicht der Willkür der beiden ausgesetzt. Waren die Betten nicht richtig gemacht wurden sie auseinandergerissen und ich musste sie neu machen. Bist du zu dumm, soll ich es dir beibringen und schon landete ihre Hand in meinem Gesicht. Oft weinte ich zu dieser Zeit noch, hör auf zu heulen, mach es ordentlich. Wie konnte ich mir das nur antun, für dich müsste es noch mal Arbeitsdienst geben, die würden dir da schon die Flötentöne beibringen.

Ich zitterte wie Espenlaub und fragte ist es so in Ordnung, oft riss sie mir die Sachen aus der Hand, zeigte mir wie etwas ging und ich musste wieder und wieder und wieder , wurde immer ungelenkiger in meinen Bewegungen und hoffte nur sie würde sich beruhigen. Es war egal was ich machte, wenn sie es drauf anlag, fand sie immer was. Du bist wie deine Mutter aber ich werde es dir austreiben. Oft wußte ich das sie mich hasst, das Kind mit den blauen Augen und dem durchdringenden Blick. Sie verbot mir irgendwann sie direkt anzusehen, wenn ich dagegen verstieß , schlug sie mit dem erstbesten Gegenstand der ihr in die Finger kam. Lange Zeit sah ich Daddy nicht in dem Szenario, dachte er wäre nicht da gewesen, doch er war es, er saß irgendwo und schüttete Alkohol in sich hinein. Wenn sie wütend auf ihn war, wußte ich das ich es abbekam, man fand immer eine Möglichkeit.

Seit einigen Nächten wache ich auf und weiß das ich mit ihr geredet habe. Sie starb damals ohne mir die Antworten gegeben zu haben. Irgendwo hole ich das auf, ich weiß das dies sein muß und so wie früher verteidigt sie ihr Handeln. Ich höre Sätze wie, du weißt wie Papa war, du weißt das ich immer hart arbeiten musste, du weißt wie er sein konnte. Doch oft brach sie einen Streit vom Zaun immer genau dann wenn der Alkoholpegel hoch genug war. Ich versuchte dann aus der Situation herauszukommen aber nur selten gelang mir dies.

Bring mir einen Schnaps. Ich wußte das ich mich beeilen mußte, damit Dad nicht austitschte, nie schlug er mich direkt, doch ich wurde in den Nächten für den Ungehorsam bestraft.

Hatte ich dir nicht gesagt du gibst dem Papa nichts mehr zu trinken und schon hatte ich eine Ohrfeige einkassiert. Tut mir leid Mama.

Schütt es aus, doch wie sollte ich es ausschütten, wenn er danach verlangte. Ich ging zu ihm, Papa , Mama möchte nicht das du weiter trinkst. Hast du mir was zu verbieten du blödes Weib. Je mehr Alkohol er trank um so mehr Wut baute sich in ihm auf, für Aussenstehende unterschwellig, er kannte andere Quellen dies abzubauen. Dieses Szenario wiederholte sich so oft in meiner Kindheit. Besonders schlimm waren die Tage an denen es neues Geld gab. Wenn sonst nur „normal“ getrunken wurde, so sassen sie dann beide da und tranken. Oft hatte ich genug Hausarbeit zu erledigen um nicht bei ihnen sitzen zu müssen, doch teilweise verlangten sie von mir mich dabei zu setzen. Irgendwann begannen sie mir Schnaps einzuflößen, damit ich nicht anfangen würde zu trinken. Ich würgte und ekelte mich fürchterlich und sie lachten. Dad beobachtete mich und goß immer wieder nach, mal selbst produzierten Fusel , mal Bier. Den Würgereiz musste ich unterdrücken, würde ich mich erbrechen landete ich mit dem Kopf darin.

Ma ging irgendwann ins Bett aber nicht ohne mir den Auftrag zu geben, Dad ins Bett zu bringen. Ich sass also da und bettelte, bitte Papa gehst du jetzt ins Bett ich bin müde. Oft grinste er dann hämisch, willst du spielen, willst du mein Sonnenschein sein, dann komm her zu mir. Oft zitterte ich innerlich und hoffte er würde soviel trinken dass er augenblicklich einschläft, doch diesen Gefallen tat er mir selten. Der Sonnenschein machte also all die Sachen die er ihr beigebracht hatte, all die Sachen die er sich in seinem kranken Hirn zusammen gesponnen hat. Oft frage ich mich heute, wie hätte ich mich wehren können, hab ich es nicht intensiv genug versucht. Doch ich weiß heute, das ich systematisch dazu erzogen wurde, die Angst vor größerer Pein in der Nacht liess mich gehorchen. Ich habe teilweise Schwierigkeiten Erinnerungen zu sortieren, weiß manchmal nicht wo bestimmte Sachen angefangen und aufgehört haben, das Sortieren nach Alter fällt mir teilweise so schwer. Oft stockt mir der Atem wenn ein Gedankenfetzen in meinem Kopf Einzug hält und ich versuche ihn zu verscheuchen.

Irgendwann begann ich Medikamente zu nehmen, sie mit hochprozentigen Alkohol herunter zu schütten um den Tag zu ertragen. Welche Auswirkungen das bei einem Kind haben kann ist verständlich. Ich kippte regelmässig um und fühlte mich wohl in dieser inneren Welt. Immer öfters spielte ich dieses Spiel mit dem Tod. Oft lief ich einfach über die Strasse ohne nach rechts und links zu schauen doch nie passierte mir was.

Irgendwann begann Ma eine neue Strategie. Längst hatte ich mich an die Schläge auf dem Kopf gewöhnt und ertrug sie wenn ich sie erahnen konnte. Sie holte aus und schlug nicht zu, holte kurze Zeit wieder aus und schlug nicht zu. Man erwartet jedes Mal den Schlag und spannt sich an, lernt sich auf etwas anderes zu konzentrieren, entspannt sich wieder, spannt sich wieder an. Oft spielte sie dieses Spiel stundenlang bis sie eine Unachtsamkeit von mir ausnutzte. Mir schossen die Tränen in die Augen und sie wurde wütend. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht wegen jedem Scheiß heulen, hör auf damit.

Ich lernte, lernte Tränen perfekt zu unterdrücken, sie nach innen fliessen zu lassen auch heute noch, vor allem wenn ich das Gefühl habe man verletzt mich. Mir ist es lieber man sieht mich als zickig an anstatt andere den Schmerz sehen zu lassen, den ich in diesem Moment ertrage. Ich habe mir eine Atemtechnik angewöhnt mit dem dieses Brennen im Hals tiefer runter geht, ich kann das nicht richtig erklären, doch es sinkt und wird erträglicher. Nur mein Kopf bleibt traurig und manchmal leer.

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